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WAZ sollen wir lesen? Das Zeitungsabo-Experiment (10)

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Warum lesen junge Menschen Lokalzeitung? Wir machen ein Experiment: Der Auszubildende Hendryk (23) testet für zwei Wochen die WAZ. Die Ergebnisse veröffentlicht er in seinem Blog und hier bei “Was mit Medien.” Eine Einführung gibt es hier. Die nächsten Teile seiner Serie könnt ihr in den kommenden Tagen an dieser Stelle nachlesen.

VON HENDRYK SCHÄFER

Nun ist es schon einige Tage her, dass mein WAZ-Probeabo auslief und irgendwie gelang es mir auch, das aufzuschreiben, was ich dabei erlebte und empfand. Allerdings waren diese Beiträge nicht unbedingt das, was ich persönlich als wirklich konstruktiv empfinden würde. Sicherlich, einige Anmerkungen gab es schon, die durchaus jemandem etwas bringen könnten, aber im Großen und Ganzen war es eher ein „Tu‘ das nicht! Hör‘ damit auf! Lass‘ das sein!“. In diesem, vorerst letzten Beitrag wird das alles anders, hier kommt meine geballte Wut konstruktive, positive Kritik, hier kommen meine Wünsche an eine Tageszeitung, die ich gerne lesen möchte!
Teil eins fokussierte sich dabei auf die Ausgangssituation, die Anforderungen und das faktische Angebot der WAZ und wird endete mit den Schwächen. Im zweiten Teil ging es um die Stärken der WAZ und um mich und meine Anforderungen. Daran anknüpfend stellte ich meine Wunschzeitung vor, konfrontierte sie mit der Realität und versuchte zu einer Lösung zu kommen.
Zu einem wirklichen Fazit, einem Rückblick und einem Ausblick möchte ich jetzt kommen.

Rückblick

Nach nunmehr fast genau einem Monat, nachdem ich die praktische Phase meines WAZ-Zeitungsabo-Experiments abgeschlossen habe, muss ich doch einmal ein paar Sachen feststellen.
Ich bin für die WAZ nicht eher aufgestanden als sonst. Dass ich Berufsschule en bloc hatte, war sicherlich nicht unbedingt vorteilhaft, weil es zu unschönen Aufstehzeiten führte, war aber kein Nachteil, weil ich schon bisher Zeit für ein ausgiebiges Frühstück und die Morgenlektüre eingeplant hatte, welche aber bis dato ausschließlich online erledigt wurde. Was hingegen nachteilig war, war der Umstand, dass die WAZ so früh am Morgen (halb Sechs) noch nicht im Briefkasten lag, so dass mir die ganze Zeit nichts nützte, außer dass sie durch die bisherige Blogschau am Morgen ausgefüllt werden konnte. Die WAZ gab ich mir dann jedenfalls erst mit dem Verlassen des Hauses als Wegzehrung mit.
In der U-Bahn morgens um halb Sieben Zeitung zu lesen ist machbar. Die U-Bahn ist nicht zu voll, es gibt Sitzplätze und die Beleuchtung ist ausgezeichnet. Das kann man im Bus leider nicht behaupten. Im besten Fall gibt es enge Sitzplätze und die neben mir sitzende Person mag die Zeitung nicht im Gesicht haben. Das schränkt den Radius zum Blättern extrem ein. Wenn dann noch (vor Morgendämmerung) die Beleuchtung im Schlafwagenmodus ist, kann man das Lesen vergessen, es sei denn, man hat eine Taschenlampe dabei. Aber wer nimmt schon zur Arbeit eine Taschenlampe mit? Wenn man dann noch mit Arbeitskollegen (oder in dem Fall Klassenkameraden) im Bus sitzt, ist es zudem trotz der uhrzeitbedingten Wachheit nicht sonderlich kommunikativ sich hinter der Zeitung zu verbergen, wenn sonst niemand mitliest oder mitlesen will, zumal es relativ schwierig wird den Gesprächen komplett zu folgen und dabei auf die Feinheiten der Berichterstattung zu achten – und gezz kommt mir nicht mit Multitasking.

Ich muss es leider so konstatieren: Ich habe mich wesentlich öfter über die WAZ geärgert als gefreut. Im besten Fall fand ich in der Regel, dass die Texte solide waren, nicht herausragend oder gut, sondern schlicht in Ordnung bis „geht so“. Wirklich gut, weil packend erzählt oder besonders gut recherchiert, fand ich zu wenig und gestalterisch gefällt mir die WAZ schlicht nicht. Ich habe leider nur wenig mehr Neues erfahren als ich bis zur Zeitungslektüre schon wusste und ich fand nur wenig mehr in der Zeitung als ich online schon gesehen hatte und noch weniger fand ich online, was in der Zeitung gestanden hatte – ich hätte gerne durchaus noch einige Artikel mehr verlinkt, aber ich fand sie einfach nicht, es gab sie einfach nicht.
Als die WAZ dann wieder weg war, hab‘ ich dann auch nicht so sonderlich viel vermisst. Vielleicht die Karikaturen, und dass ich sie auch gut und halbwegs bequem im Stehen lesen konnte, nachdem ich mein Umfeld mit Zeitungsorigami ins Koma geschlagen hatte. Aber sonst? Ja, gut, mein Netbook raschelt nicht so schön – aber wenn das raschelte, machte ich mir auch Gedanken – und es riecht auch nicht so gut nach Papier und Farbe, aber ich bekomme auch keine schwarzen Finger von der Druckerschwärze. Außerdem kann ich mich problemlos und ohne Wechsel des Mediums nach anderen Quellen und Standpunkten erkundigen und nicht zuletzt kann ich – twitter und facebook sei Dank! – ziemlich schnell und einfach anderen empfehlen, was ich gerade gelesen habe, auch wenn das zugegebenermaßen eher selten vorkommt, da ich viel mehr über Google Reader bzw. den Umweg tumblr „share“, also weiterempfehle.
Was ich in den zwei Wochen erleben durfte, hat mich nicht davon überzeugt, die WAZ als Tageszeitung zu abonnieren. Es hat mich auch nicht davon überzeugt, die Tageszeitung als solche zu verdammen oder schon jetzt auf’s Abstellgleis zu schieben, auch wenn ich die Tageszeitung als solche in nicht allzu ferner Zukunft – spätestens, wenn fast die gesamte Bevölkerung online ist und mit „online“ die tägliche Nutzung des Internets gemeint ist – dort vermute, weil sie in Sachen Schnelligkeit und Aktualität nicht mit dem Internet als Schriftmedium konkurrieren kann. Ihre Stärke sind die tendenziell eher zeitlosen Reportagen und Hintergrundberichte, die nicht auf ein fixes Datum angewiesen sind um aktuell zu sein. Das kann auch von einer mehrmals wöchentlich erscheinenden Zeitung geleistet werden. Aber lassen wir mal meine Thesen zur Zukunft der Tageszeitung außen vor.
Auch wenn die WAZ für viele Menschen ihre Tageszeitung ist und sie mit ihr so zufrieden sind, dass sie sie weiterhin lesen wollen, so ist sie das für mich nicht. Sie erfüllt meine Ansprüche an eine Tageszeitung nicht, sie bietet mir zu wenig originär neue Meldungen und zu wenig vertiefende Hintergrundberichterstattung zu schon bekannten Ereignissen. Sie hat als Monopolistin in Herne einen Lokalteil, der mir zu wenig aus dem städtischen Leben vermittelt, gerade aus dem städtischen politischen Leben, die zu selten an meiner statt die örtlichen politischen Gremien unter die Lupe nimmt und mir von ihnen berichtet (eigentlich nur, wenn es Kontroversen gibt), und der sonst von Menschen mit ungewöhnlichen Hobbies berichtet oder Schüler_innen für die Bebilderung der Meldung, dass diese für ein Jahr ins Ausland gehen, mit einem Lokalpolitiker posieren lässt, der von den immer gleichen Kleingartenvereinsfesten berichtet und eben anderweitig Bratwurstjournalismus abliefert. Sie bietet mir zu wenig Politik, Wirtschaft und Lokales, zu wenig menschliche Selbstreflektion (wie sie zum Beispiel die kombinierte Wirtschafts- und Umwelt-Seite der taz bietet) und zu viel Menschelndes und Obrigkeitsheischendes. Ich will nichts von Promihochzeiten oder verfilmte Psychotherapiesitzungen von seelischen Exhibitionisten wissen. Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen aus welchen Gründen auch immer solche Dinge lesen wollen, aber mich stößt es nur ab.

Ausblick

Ich will von meiner Tageszeitung informiert werden, ich will von ihr darin unterstützt werden, mein Leben in den heutigen Verhältnissen gut zu meistern, ich will mich anhand ihrer Berichterstattung selbst befähigen, mich aus meiner selbst verschuldeten Unmündigkeit und Ahnungslosigkeit von den gesellschaftlichen Zuständen zu befreien und die Gesellschaft, in der ich lebe, aktiv mitgestalten zu können. Ablenken von und ausklinken aus dieser Welt kann ich mich sehr gut selbst, da helfen mir andere Industrien mit ihren Zeitschriften, Büchern, Songs, Filmen, Theaterstücken, Konzerten, Parties, Kirchweihfesten (oder hat jemand einen schönen Plural von „Kirmes“ für mich im Angebot?), Trödelmärkten und anderen legalen Drogen.

Wenn ich also nun kein Abonnement mit der WAZ abschließen werde, dann nur weil ich es nicht kann. Ich kann nicht zweimal über dasselbe Ereignis informiert werden und bei beiden Malen behaupten, es wäre mir neu. Ich kann mich nicht damit arrangieren, regelmäßig Fehler zu reklamieren weil sie nicht abgestellt werden; irgendwann wird das Produkt gewandelt und die Marke hat ihren Vertrauensvorsprung eingebüßt und ich gehe zur Konkurrenz. Wenn ich nun keine Konkurrenz, keine Alternative habe, muss ich mich entscheiden: Finde ich mich mit den Mängeln ab, weil ich das Produkt so sehr benötige, oder kann ich auch gut ohne leben?
In Bezug auf das Produkt WAZ sieht es leider so aus: Die WAZ in Herne ist Monopolistin und deshalb kann sie machen, was sie will. Ich muss die Sachen mit erwerben, die ich gar nicht haben will und bekomme zudem zu wenig von dem, was ich brauche. Da mache ich nicht mehr mit. Ich kann gut ohne die WAZ leben – ohne DerWesten.de allerdings nicht.

Le fin.

Die Serie WAZ sollen wir lesen erscheint ab sofort auch auf “Was mit Medien”, nachdem Hendryk die Texte bereits in seinem Blog veröffentlichte, so auch diesen Teil 10.

Tipp: Uns gibt es auch als RSS-Feed in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Hier gibt es unsere Texte aus dem Blog und hier gibt es unseren wöchentlichen Podcast.

Lesetipps:

  1. WAZ sollen wir lesen? Das Zeitungsabo-Experiment (1)
  2. WAZ sollen wir lesen? Das Zeitungsabo-Experiment (9)
  3. WAZ sollen wir lesen? Das Zeitungsabo-Experiment (5)

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